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- MESEBERG
- Die Mitternacht zog näher schon;
- in stummer Ruhe lag Meck-Pomm.
- Es endet auch das Tagewerk
- des Pförtners von Schloß Meseberg:
- Zugbrücke hoch, die Lichter aus.
- Nur oben lärmt es noch im Haus.
- Dort saß im alten Fürstensaal
- das Kabinett beim Eintrachtsmahl.
- Die Knechte saßen in schimmernden Reih'n
- und leerten die Becher mit Bier und Wein.
- Es klirrten die Gläser, es lachten die Knecht;
- so klang es der drögen Kanzlerin recht.
- Alsbald ihre Wangen leuchten Glut;
- im Alkohol wuchs ihr kecker Mut,
- und blindlings reißt der Wahn sie fort;
- sie schimpft auf das Volk mit sündigem Wort
- und brüstet sich frech und lästert wild;
- Der Knechtenschar ihr Beifall brüllt.
- Dann gab sie Befehl mit stolzem Blick;
- der Diener eilt und kehrt zurück.
- Er trug viel gülden Geschirr auf dem Haupt;
- das war aus dem Steuersäckel geraubt.
- Die Kanzlerin griff mit frevler Hand
- einen heiligen Becher, gefüllt bis zum Rand.
- Sie leert ihn hastig bis auf den Grund
- und rufet laut mit schäumendem Mund:
- "Dir, Volk!, verkünde ich ewig Hohn –
- ich mach', was ich will auf meinem Thron!"
- Doch kaum das grause Wort verklang,
- ward ihr im Busen heimlich bang.
- Das gellende Lachen verstummte zumal;
- es wurde leichenstill im Saal,
- und sieh! und sieh! an weißer Wand
- da kam's hervor wie Menschenhand;
- und schrieb, und schrieb an weißer Wand
- Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.
- Die Chefin stieren Blicks da saß
- mit schlotternden Knien und totenblaß.
- Die Knechtenschar saß kalt durchgraut
- und blieb gar still, gab keinen Laut.
- Die Weisen kamen, doch keiner verstand
- zu deuten die Flammenschrift an der Wand:
- „o mene tekel upharsin“
- (auf deutsch: „es sind zu viele drin“).
- Die Chefin ward aber in selbiger Nacht
- von ihren Knechten umgebracht.
- (Heine, Belsazar, aktualisiert von Claus Plantiko)
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